Wiegenlied für eine Leiche (Robert Aldrich)

„Wiegenlied für eine Leiche“ von Robert Aldrich ist ein Genremix aus Psychothriller und Krimi (Whodunit). Er besticht durch seine Konzentration auf die Heldin Charlotte Hollis (Bette Davis) und ihre schräge Haushälterin Velma Cruther (Agnes Moorehead). Beide Schauspielerinnen agieren hervorragend. Abgesehen von der Backstory im Jahre 1927 sowie von zwei bis drei Szenen spielt alles im Jahre 1964 im museumsartigen Anwesen der Familie Hollis. Diese Fokussierung auf die Geschichte ist ein großer Vorteil (Einheit von Zeit, Raum und Handlung).

Handwerk

Handwerklich ist der Schwarzweißfilm brillant gemacht. Die Kameraarbeit ist herausragend. Die kontrastreiche Low-Key-Lichtstimmung unterstützt die unheilvolle Atmosphäre. Teilweise befinden sich die Gesichter der Personen komplett im Schatten. Für sein Herstellungsjahr hat „Wiegenlied für eine Leiche“ erstaunlich viele Nahaufnahmen. So stellt er eine Nähe zu seinen Figuren her und erhöht die Dramatik. Insbesondere in seinen Traumszenen entwickelt der Film eine visuelle Kraft. Sehr schön ist auch der Informationsfluss. So erfährt der Zuschauer beizeiten von den hinterhältigen Plänen der beiden Antagonisten, Charlottes Cousine Miriam Deering und Dr. Blayliss, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben. Das schafft „Suspense“ und ist dramatisch. Leider gibt es eine Reihe von erzählerischen Ungereimtheiten, die den Gesamteindruck trüben.

Ungereimtheiten

Ein Schwachpunkt ist die fehlende Schilderung der polizeilichen Ermittlungen sowie der Gerichtsverhandlung im Mordfall von 1927. Da wurde Charlottes Geliebter, der verheiratete John Mayhew, bestialisch ermordet. Tatverdächtig ist Charlotte, die als verschmähte Geliebte ein Motiv hätte und deren Kleid blutbesudelt ist. Da sie glaubt, ihr Vater Big Sam Hollis habe John im Affekt umgebracht, schweigt sie zu den Vorwürfen. Ein lapidarer Hinweis auf Papas immensen Einfluss führt zur Einstellung des Verfahrens gegen Charlotte. Das ist aber – mit Verlaub – ziemlich schwach.

Wie konnte denn Big Sam Hollis in diesem spektakulären Mordfall, der ja im Fokus des öffentlichen Interesses stand, leitende Ermittler zum Einlenken bewegen? Warum sollte Jewel, die tatsächliche Mörderin und Ehefrau des Opfers, überhaupt diesen tödlichen Hass auf ihren Mann entwickeln? Warum nicht auf seine Geliebte? Kann eine Frau mit einem Hackmesser überhaupt mit einem Schlag den Kopf eines Mannes abtrennen? Wäre sie nicht in jedem Fall blutbesudelt? Wieso ist Charlotte geschlagene 37 Jahre lang nicht in der Lage, eine Beziehung zu einem anderen Mann einzugehen? Rechtfertigt das traumatische Erlebnis eine Darstellung als alte Jungfer?

Wieso kommt die Lebensversicherung des Mordopfers auf die Idee,37 Jahre nach seinem Ableben Ermittlungen anzustellen? Wieso nicht nach 10 oder 20 Jahren? Warum will die Versicherung dieser Sache überhaupt auf den Grund gehen? Das machen die doch üblicherweise nur wenn sie den Verdacht haben, übervorteilt zu werden. Wenn Velma der intriganten Miriam ihren Plan verrät, ihr und Dr. Bayliss mit Hilfe eines sicher gestellten Arzneifläschchens das Handwerk zu legen, ist das nicht besonders clever. Diese einfältige Drohung diskreditiert die interessanteste Figur. Was bleibt der derart in die Enge getrieben Miriam anderes übrig, als sich der Mitwisserin zu entledigen?

Wenn Charlotte am Schluss auf dem Rücksitz eines PKW’s davonfährt, ist unklar, wohin die Reise geht. Sind ihre Begleiter Mitarbeiter einer psychiatrischen Klinik, womit die Antagonisten ja ihr Ziel erreicht hätten? Handelt es sich um Amtsträger, die die Besitzerin des vom Abriss bedrohten Anwesens in Sicherheit bringen? Oder sind es Kriminalbeamte in Zivil, die Charlotte zum Ableben von Miriam und Dr. Bayliss eingehend verhören wollen?

Lösungen

Für Big Sam Hollis wäre es doch viel einfacher und glaubhafter gewesen, einen Geschworenen in der anstehenden Gerichtsverhandlung zu bestechen als leitende Staatsanwälte. Ferner hätte man in der Folgezeit, um die Heldin nicht zu diskreditieren, zumindest gescheiterte Versuche von Kontaktaufnahmen zu anderen Männern zeigen können. Des weiteren wäre als Tatwaffe ein Revolver viel geeigneter gewesen. Es hätte erklärt, weshalb nur Charlottes Kleid blutbefleckt war, nicht aber das der Täterin. Außerdem wird der Revolver ja auch später noch von den Antagonisten ins Spiel gebracht, als sie versuchen, Charlotte in den Wahnsinn zu treiben.

Den freundlichen Versicherungsvertreter hätte man durch einen hartnäckigen FBI-Agenten einer Cold-Cases-Abteilung ersetzen können. Velma hätte ihre Absicht, mit Hilfe des Arzneifläschchens Miriam und Dr. Bayliss das Handwerk zu legen, einfach verheimlichen können. Wenn Miriam sie trotzdem durchschaut hätte, wäre das der Spannung ja nicht abträglich gewesen. Im Gegenteil (Anmerkung von Alfred Hitchcock: „Je gelungener der Schurke, umso gelungener der Film.“) Außerdem hätte man Velma, der mit Abstand interessantesten Figur dieser Geschichte, ein Überleben gegönnt. In „Wiegenlied für eine Leiche“ wäre ein Happy End, ein Sieg der beiden weiblichen Protagonisten, die Lösung gewesen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 4 blaue Smileys und 3 schwarze traurige Gesichter für "Wiegenlied für eine Leiche"

Der denkwürdige Fall des Mr Poe (Cooper)

„Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ ist ein behäbiger und leidlich spannender Krimi, genauer ein Whodunit (an anderer Stelle sind wir schon ausführlich auf die dramaturgischen Beschränkungen derartiger Krimiplots eingegangen). Da Edgar Allan Poe (Harry Melling) eine gewichtige Rolle spielt, darf das Morbide, das Okkulte natürlich nicht fehlen. Schauplatz ist die US-amerikanische Militärakademie West Point im 19. Jahrhundert. Ein vermeintlicher Selbstmord mit anschließender Leichenschändung veranlasst die Leitung der Akademie den New Yorker Polizisten Augustus Mandor (Christian Bale) mit den Ermittlungen zu beauftragen. Vor allem gilt es, die entstandene Unruhe unter den Kadetten im Keim zu ersticken und die Finanziers zu beruhigen. Für West Point geht es um die Rettung seiner Ehre.

Vor Ort findet Augustus schnell heraus – was wir schon ahnen -, dass es sich hier um einen Mord handelt. Außerdem findet er einen Papierfetzen in der Faust des Toten, auf dem ein paar Wörter und Buchstaben zu lesen sind. Für die Dechiffrierung spannt Augustus den Kadetten Edgar Poe für seine Arbeit ein. Der entpuppt sich als morbide, trinkfeste und dichtende Quasselstrippe. Ein Gewinn für den Film und für Augustus, denn sein Gehilfe kann sich Zugang zu einer okkulten Studentengruppe verschaffen. Mitglieder sind auch Lea und Artemus, die beiden erwachsenen Kinder des Akademiearztes Dr. Marquis. Edgar verliebt sich in Lea, mit der er seinen Hang zum Morbiden teilt. Als beide sich auf dem Friedhof näherkommen, erleidet Lea einen Anfall und windet sich am Boden. Edgar ist verstört, aber auch fasziniert.

Derweil wird ein weiterer Student stranguliert aufgefunden. Ihm wurden ebenfalls Organe herausgeschnitten. Nach dem Besuch bei einem Professor für Okkultismus, reift in Augustus der Verdacht, es hier mit Teufelsanbetern zu tun zu haben. Bei einem Abendessen im Haus von Dr. Marquis kommt es zum Eklat. Augustus nutzt die Unruhe, um herumzuschnüffeln. Schließlich findet er eine Uniform, die der Mörder getragen haben soll. Auf der Suche nach Edgar findet Augustus ihn in den Fängen der Teufelsanbeter. Lea und Artemus sind drauf und dran, Edgar in einem satanischen Opferritual zu töten. Im letzten Moment kann Augustus ihn befreien, während Lea und Artemus in den Flammen eines entstandenen Brandes ums Leben kommen.

Damit scheint der Fall geklärt. Aber der Film hat noch eine Wendung parat und mutiert zum Rachedrama: Im Showdown sucht Edgar den Polizisten auf und weist ihm nach, der eigentliche Urheber der Morde zu sein. Die Schändungen der Opfer dienten nur der Verschleierung. Das Motiv von Augustus war Rache für seine von Kadetten der Militärakademie vergewaltigte Tochter, die im Anschluss Selbstmord beging. Originalton Augustus: „Ich wollte nicht, dass diese Männer gestehen. Ich wollte, dass sie in den Tod gehen.“ Das als Leitmotiv für die Geschichte zu postulieren, ist nicht sonderlich originell, eher ein bisschen stupide. Vielschichtiger und intelligenter hat es zum Beispiel Ariel Dorfman in Polanskis Rachedrama „Der Tod und das Mädchen“ gelöst.

Diese Wendung am Schluss von „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ mit den Flashbacks ist ein großer Schwachpunkt und wirkt arg konstruiert. Die Umstände der Vergewaltigung muten schon sehr seltsam an. So muss als Tatort ein finsterer Wald herhalten, wobei das Gelände der Akademie viel besser gewesen wäre. Hier hätte man sich eine feucht-fröhliche Feier vorstellen können, in deren Verlauf es in der Nähe des Festsaals zu Übergriffen und zum tödlichen Unfall gekommen wäre. Die Leiche der Tochter hätten die Täter dann im Wald abladen können. Nach dem finalen Geständnis verschont Edgar seinen polizeilichen Mentor, weil er dessen Motive versteht und ihm sein Leben verdankt. Jetzt sind sie quitt.

Ein anderer Schwachpunkt ist der behäbige Spannungsaufbau. Im Grunde gerät die Hauptfigur, Augustus Mandor, nicht einmal wirklich in Gefahr. Edgar hingegen schon, als er sich der schönen Lea hingibt und Augustus auf die Schliche kommt. Folglich wäre er der tauglichere Held gewesen. Abgesehen davon ist er die wesentlich interessantere Figur. Überhaupt liest sich Edgar Allen Poes Biographie wie eine spannende Schauergeschichte. Eigentlich hätte man sein Leben verfilmen sollen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 2 blaue Smileys und 5 schwarze traurige Gesichter für "Der denkwürdige Fall des Mr Poe".

The Hollow (Miles Doleac) USA 2016

Der Krimi „The Hollow“ fängt damit an, dass Dorfsheriff Beau McKinney (William Sadler) sich während seines Dienstes im Einsatzwagen einen blasen lässt. Zeitgleich verkauft er Drogen aus dem Seitenfenster heraus. Als Sheriff im Bundesstaat Mississippi muss man eben multitaskingfähig sein. Weiter geht’s mit einem Übernachtungstipp von McKinney für ein durchreisendes, junges Liebespärchen, die leider auf ihn hören. Mit ihrem Wagen fahren sie an einsamen See, wo sie ermordet werden.

Figuren

Schnitt. New York. Der volltrunkene FBI-Agent Vaughn Killinger will mit seiner Kollegin Sarah Desoto schlafen. Letztlich kein Problem. Am nächsten Morgen kommt er natürlich nicht aus dem Bett, woraufhin seine Partnerin folgendes zu ihm sagt: „Du musst trotzdem aufstehen.“ Spätestens jetzt bestätigen sich alle unheilvollen Ahnungen, hier in den tiefsten Niederungen der Filmgestaltung gelandet zu sein. Dann gibt es eine quälend lange Szene, in der Killinger sich bei seinem kleinen Jungen entschuldigt, mit dem er eigentlich Zeit verbringen wollte. Handlungsrelevanz?

Cut

Mississippi. Der örtliche Polizeichef kündigt seinen Leuten das Erscheinen der FBI-Agenten an. Er hält McKinney eine Standpauke und ermahnt ihn, seine Nebengeschäfte vorerst einzustellen. Wie bitte? Also, ist der Polizeichef Mitwisser von Drogengeschäften seiner Polizisten. Wer soll das denn alles glauben? Für welche dieser künstlichen, klischeehaften Figuren soll man sich in „The Hollow“ interessieren? Abbruch.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 7 schwarze traurige Gesichter für "The Hollow"

City of Lies (Brad Furman) USA 2017

„City of Lies“ ist ein hervorragend gemachter Krimi (kein Thriller), der auf einem Tatsachenroman von Randall Sullivan beruht. Hauptperson ist Russell Poole (Johnny Depp), ehemaliger Detective des LAPD. Der hatte in den 90er Jahren, nach dem Tod von Rapper Tupac Shakur in Las Vegas, den Mord am Rapper The Notorious B.I.G. in Los Angeles untersucht. Irgendwann stieß Poole auf Verdachtsmomente, demnach das einflussreiche Hip-Hop-Label Death Row Records und Polizisten des LAPD ihre Finger im Spiel hatten. Trotz eindeutiger Warnungen ließ er sich bei seinen Ermittlungen nicht beirren und schaltete sogar die Staatsanwaltschaft ein. Kurz darauf wurde der Nestbeschmutzer erst versetzt, dann suspendiert. Der korrupte Policeofficer Rafael Perez klärte Poole auf, worum es hier ging: Um „Muschis und Macht“.

18 Jahre später lebt Poole allein in einer heruntergekommenen Wohnung. An den Wänden Relikte seiner Ermittlungen zum Mordfall, die ihn offensichtlich nicht losgelassen haben. Da bekommt er Besuch vom Journalisten Jack Jackson (Forest Whitaker). Aus der anfänglichen Abneigung entwickelt sich eine Zusammenarbeit, in deren Verlauf der ganze Fall noch einmal neu aufgerollt wird und mafiöse Strukturen transparent werden. Trotz Beweise von Straftaten involvierter Polizisten hat es in knapp 20 Jahren keine einzige Festnahme gegeben. Pool erläutert Jackson diesen Sachverhalt: „Sie haben keine Ahnung, wozu das LAPD imstande ist“.

Die komplexe Geschichte verlangt Konzentration. Der Wechsel zwischen den zeitlichen Ebenen erfolgt fließend und ist teilweise nicht sofort erkennbar. Der füllige Bauchumfang des alternden Poole liefert Indizien, ebenso wie die Farbgestaltung. Ansonsten eine echte Herausforderung. Eine tolle Montage. Super. Die Schauspieler agieren herausragend und sind inklusive aller Nebenfiguren brillant gecastet. Die Ausstattung ist nicht minder exzellent. Die Kameraarbeit ist konzentriert und sorgt mit düsteren Bildern für eine latent bedrohliche Atmosphäre. Ein Film Noir im besten Sinne.

Keine Schwachpunkte? Doch. Da gibt es einen Nebenerzählstrang, der Russell Pooles gestörte Beziehung zu seinem Sohn beschreibt. Offensichtlich ist es im Zuge von Pooles Suspendierung auch zu privaten Zerwürfnissen gekommen. Aber das ist Spekulation, konkretisiert wird das nicht. Unklar bleibt auch, warum die Filmemacher die Vater-Sohn-Beziehung thematisieren und nicht Russells Trennung von seiner Ex-Frau, die es ja gegeben haben muss? In jedem Fall hat dieser Nebenerzählstrang keinerlei Handlungsrelevanz.
Einmal gerät Jackson in eine nächtliche Polizeikontrolle. Da dürfen wir mit ihm mitzittern. Das war’s dann. Eigentlich hätte man sich in diesem Punkt ein bisschen mehr gewünscht, gerade angesichts der bevorstehenden Buchveröffentlichung. Hier taucht natürlich wieder die Frage auf, inwieweit sich ein Filmemacher von den Fakten entfernen darf? Er darf es. Er benötigt nur Einsicht und Mut. Ein Spielfilm ist doch nur ein Spiel, eine Fiktion, wobei die Entwicklung von Gefahrenmomente eine zentrale Bedeutung hat.

Am Ende stirbt Poole an einem Herzinfarkt. Seine kurz vor dem Ableben gestellte Frage „Wofür war das dann alles?“, beantwortet Jackson mit der Veröffentlichung seines Buches. Aber das Ende bleibt ansonsten offen. Das LAPD hat den Fall offiziell nicht abgeschlossen, aber auch keine neuen Ermittlungen eingeleitet. Er befindet sich sozusagen auf einem Abstellgleis, womit Pooles Theorie bestätigt wird: „Ein Mord wie dieser wird nur dann nicht aufgeklärt, wenn die Polizei ihn nicht aufklären will.“ Desgleichen wird im Nachspann auf eine Statistik hingewiesen, demnach 50% der Morde an Schwarzen unaufgeklärt bleiben.

Trotz des authentischen Hintergrunds ist das offene Ende ein bisschen unbefriedigend. Irgendwie verlangt diese Geschichte nach einer Fortsetzung, nach einem zweiten Teil. Dafür sprechen auch die dubiosen Gründe für die Absetzung von „City of Lies“ in den amerikanischen Kinos im Jahre 2018. Erst nach einer europäischen Festivalteilnahme fand der Film 2021 noch seinen Weg in die Kinos, wobei die Besucherzahlen aufgrund der Corona-Pandemie sehr niedrig waren. Er hätte viel, viel mehr verdient.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 6 blaue Smileys und 1 schwarzes trauriges Gesicht für "City of Lies"

The Little Things (John Lee Hancock)

Ja, die 90er Jahre waren kein angenehmer Aufenthaltsort für junge Frauen in den USA. Überall Serienkiller und korrupte Cops. Im Krimidrama „The Little Things“ gibt es gleich sechs tote Frauen in kurzer Zeit. Das muss man erstmal verdauen, auch dass das FBI noch nicht die Ermittlungen übernommen hat. Immerhin sind die Cops nicht korrupt im eigentlichen Sinne. Sie haben Schuld auf sich geladen und leiden darunter.

Kleine Dinge

So ist der Satz des alternden Polizisten Joe Deacon (Denzel Washington) zu verstehen: „Es sind die kleinen Dinge, die einen zerreißen oder verraten.“ „Zerreißen“ bezieht sich auf seinen Seelenzustand, hat er doch fünf Jahre zuvor bei einem Polizeieinsatz versehentlich ein noch lebendes Tatopfer getötet, was unter Beihilfe seiner Kollegen gedeckelt wurde. Auch das muss man erst mal verdauen. „Verraten“ bezieht sich auf Deacons akribische Polizeiarbeit, die in Kooperation mit dem jungen, ehrgeizigen Detective Jim Baxter (Rami Malek) schon bald einen Tatverdächtigen ermittelt, den psychopathischen und intelligenten Gelegenheitsarbeiter Albert Sparma, der von Jared Leto herausragend gespielt wird.

Detektivarbeit

Das sind die Highlights dieses psychologischen Krimis: die Ermittlungsarbeit, die Verhöre und das Beschatten des Mordverdächtigen, dem die Polizisten letztlich nichts nachweisen können. Der Krimi baut immerhin eine leidliche Spannung auf, auch wenn die beiden Polizisten nie ernsthaft in Gefahr geraten (im Gegensatz zum Beispiel zu „Das Schweigen der Lämmer“). Es gibt auch gelungene Dialoge, zum Beispiel wenn Deacon seiner Ex-Frau einen Besuch abstattet. Da darf man sich schon ein bisschen Gedanken machen, wenn sie ihn fragt „geht’s dir gut?“ und er „du kennst mich“ antwortet.

Dramaturgie

Allerdings wird Deacons traumatische Backstory viel zu spät enthüllt. Es gibt immer mal wieder Flashbacks und einen gequälten Gesichtsausdruck, aber wie sollen wir das als unwissende Zuschauer verstehen (s. Anmerkungen zum Informationsfluss in Kapitel 3 auf der Seite „Warum eine TOP 20 der Filmgeschichte“)? Um Mitleiden zu können, bräuchten wir mehr Informationen, so wie Tony Scott es in „Man on Fire“ demonstriert hat, aber keine Geheimniskrämerei. Ein weiterer dramaturgischer Fehler ist auch die frühe Annäherung zwischen den beiden Ermittlern. Ein Odd-Couple-Paar – so und nicht anders sind sie beiden Ermittler etabliert – kommt exakt beim Showdown zusammen und keine Sekunde früher. Warum, dürfte klar sein.

Drama

Am Schluss tötet Baxter den Mordverdächtigen Sparma im Affekt und lädt damit eine ähnliche Schuld auf sich wie Deacon fünf Jahre zuvor. Das ist das Drama: bei der Suche nach einem Mörder möglicherweise einen Unschuldigen getötet zu haben. Bis zum Schluss erfährt man nicht, ob Sparma nun tatsächlich der Serienkiller war oder nicht. John Lee Hancock ging es in „The Little Things“ wohl nicht um die Aufklärung eines Whodunits, sondern um das Seelenleben von Mordermittlern, das insgesamt aber zu dürftig beleuchtet wird. Außerdem: Wenn Sparma unschuldig war, ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Dann treibt ein Serienkiller weiterhin sein Unwesen und junge Frauen sollten tunlichst von einer USA-Reise absehen.

7 Emojis zur Bewertung eines Spielfilms, hier 3 blaue Smileys und 4 schwarze traurige Gesichter für "The Little Things"
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Mörderland (Alberto Rodriguez)

Es handelt sich hier um einen lupenreinen Krimi, keinen Thriller wie in einigen Ankündigungen und Kritiken behauptet wird. Genauer: Ein Whodunit. Die damit verknüpften Probleme bei der Emotionalisierung sind an anderer Stelle schon ausführlich behandelt worden. „Mörderland“ spielt in den 80er Jahren im ländlichen Südspanien, baut mit atemberaubenden Landschaftsaufnahmen eine beklemmende Atmosphäre auf. Das erinnert an die hervorragende US-amerikanische Krimiserie „True Detective“ (Nic Pizzolatto). Leider ist die Trostlosigkeit und der pittoreske Verfall einer strukturschwachen Region die einzige Parallele in beiden Filmen. Die Qualität der polizeilichen Ermittlungsarbeit von „True Detective“, vor allem die psychologische Raffinesse von Rust (Matthew McConaughey), vermisst man in „Mörderland“ schmerzlich.

Es fängt damit an, dass die beiden Kriminalbeamten Pedro und Juan aus Madrid in die Provinz geschickt werden, um den Fall zweier vermisster junger Mädchen aufzuklären. Schnell stellt sich heraus, dass die beiden Opfer eines Psychokillers geworden sind, der sie bestialisch vergewaltigt, gefoltert und getötet hat. Zufällig erfahren die beiden Detektive, dass sich vor einiger Zeit bereits ähnliche Fälle ereignet haben. Also ist ein Serienkiller am Werk. Merkwürdig, dass die Madrider Polizeizentrale nichts von solchen Ritualmorden weiß. Merkwürdig auch, dass die beiden Detektive bei ihren Ermittlungen dem örtlichen Bürgermeister oder Polizeidirektor – wer immer das ist? – unterstellt sind.

Auf die ersten Ungereimtheiten bekommt man im Verlauf des Films, wie auf alle anderen, leider keine Antworten. Richtig absurd wird das Geschehen als die beiden Ermittler den Vater der ermordeten Mädchen in die Mangel nehmen und heraus bekommen, dass der vor einiger Zeit ein Päckchen Heroin am Flussufer gefunden hat. Er ist natürlich auf die glorreiche Idee gekommen, den Stoff zu verkaufen, was – oh Wunder! – die Dealer auf den Plan gerufen hat. Da der Vater aber mit den Einnahmen seine Schulden getilgt hat, gab es nichts Bares mehr. Also haben die Gangster alle verwertbaren Gegenstände aus seiner Wohnung abtransportiert. Das ist normalerweise eine heiße Spur, nicht aber für Madrider Cops. Anstatt sich Personenbeschreibungen geben zu lassen und eine Fahndung einzuleiten, ignorieren sie diese Geschichte.

Und so geht das munter weiter. Bei einer nächtlichen Fahrt durch das Sumpfgelände werden die beiden Detektive in ihrem Auto beschossen. Konsequenzen? Keine. Bei der Beobachtung einer Jagdhütte wird Pedro vom jungen Quini mit einem Messer bedroht. Nach der Gefahrenabwehr behauptet Quini steif und fest, den gerade in die Jagdhütte hineinspazierten „Mann mit Hut“ nicht gesehen zu haben und nicht zu kennen. Unsere beiden Polizisten sind mit dieser offensichtlichen Lüge und dem tätlichen Angriff zufrieden und lassen den Verdächtigen laufen. In ihrer Pension pinkelt Juan Blut und Pedro telefoniert gelegentlich mit seiner Frau. Handlungsrelevanz? Null! Was hat es mit den Sexfotos auf sich, die von den entführten Mädchen gemacht wurden? Was ist mit dem darin verstrickten Fotostudio in Sevilla?

Wir erfahren am Ende noch nicht einmal wer der Killer war. Es ist zwar dunkel und regnerisch, aber man weiß nicht, ob es nun der verdächtige Sebastián, den man vorher noch nie gesehen hat oder der „Mann mit Hut“ war? Der Killer hatte zwar keinen Hut auf, sondern eine Kapuze, aber den Hut kann man ja auch ablegen. Also fange ich an zu recherchieren. Keine noch so ausführliche Rezension liefert eine Antwort auf diese Frage. Ist ja auch nicht so wichtig in einem Whodunit.

Stattdessen wird die thematische Behandlung eines Stoffes in der Nach-Franco-Ära gelobt und die Auswirkungen von Diktaturen auf menschliche Befindlichkeiten. Als wenn das eine Entschuldigung für unterlassene fachgerechte dramaturgische Gestaltung wäre. Ach, hätte Rodriguez doch ein bisschen recherchiert, zumindest eine Woche. Im hervorragenden US-amerikanischen Copthriller „End of watch“ (David Ayer) sind die Filmemacher über den Zeitraum von einem halben Jahr (!) in Los Angeles mit Polizisten auf Streife gefahren. Mit dieser handwerklichen Ernsthaftigkeit kann man dann eben Ergebnisse anderer Qualität erzielen. Als I-Tüpfelchen erfahren wir in „Mörderland“ ganz am Ende noch, dass Juan als Agent des Franco-Regimes dutzende von Regimegegnern liquidiert hat. So eine Information müsste natürlich eher kommen, um eine dramatische Wirkung zu erzielen. So kann der Zuschauer damit genau so viel anfangen wie mit dem vorangegangenen Sammelsurium an Ungereimtheiten: Nichts hat eine Bedeutung.

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Lonely Hearts Killers (Todd Robinson)

Der Film ist zu einem Teil ein Krimi, zum anderen Teil ein Psychothriller. Aber anders als in „Hell or High Water“ (David Mackenzie) hat die Krimiebene hier eine erzählerische Funktion. Es fängt damit an, dass die Ehefrau von Detective Elmer Robinson (John Travolta) Selbstmord begeht und die Off-Stimme des Erzählers, seines Partners Charles Hildebrandt (James Gandolfini), für unglaubliches Tempo sorgt. Dieser Suizid ist der Schlüssel für die Ergreifung der Lonely-Hearts-Killers, die in den 40er Jahren in den USA tatsächlich mehrere Frauen betrogen und ermordet haben.

Ermittlungen

Elmer will der scheinbare Selbstmord einer jungen Frau, den er bei einem Kriminalfall untersucht, nicht so recht einleuchten. Stellvertretend für den unerklärlichen Freitod seiner Frau untersucht er akribisch den Tatort und kommt nach und nach dem Täterpaar auf die Spur. Das besteht aus dem Hochstapler und Heiratsschwindler Ray Fernandez (Jared Leto) sowie seiner Geliebten Martha Beck (Salma Hayek). Beide verbindet ein krankhaftes Liebesverhältnis, in dem Martha die treibende und mörderische Kraft ist. Nach ihrer Festnahme fragt sie Elmer beim Verhör, ob er – so wie sie – jemals einen Menschen getroffen hat, der bereit war für ihn zu töten? Elmer schweigt und denkt an seine verstorbene Frau.

Handwerk

Die Ausstattung, die Kamera – alles perfekt. Die Schauspieler sind allesamt herausragend. Wenn die drei Detectives der Mordkommission sich anfrotzeln, dann geht es richtig zur Sache. Überhaupt ist „Lonely Hearts Killers“ hart. Das liegt nicht nur an den Dialogen, sondern vor allem am abgründigen Treiben der Mörder. Manchmal ist es zu hart. Wenn Martha und Ray am Ende nicht nur seine Brieffreundin Delphine umbringen, sondern auch noch deren kleine Tochter, wird eine Grenze überschritten. Zurecht hat Alfred Hitchcock selbstkritisch festgestellt, dass ein Kind im Film sterben zu lassen, nichts anderes als Verrat am Kino ist. Der wird damit gerechtfertigt, dass es sich im tatsächlichen Fall auch so zugetragen hat. Das ist aber – mit Verlaub – Unfug. Denn ein Filmemacher nimmt immer Eingriffe vor. Die tatsächliche Martha war eine eher unattraktive, schwergewichtige Frau. Die wurde in der Verfilmung dargestellt durch die bildhübsche Salma Hayek. Also, warum dieser Verrat, der einen letztlich deprimiert zurücklässt?

Finale

Ein weiterer Schwachpunkt ist die finale Annäherung zwischen Elmer und seinem Sohn. Das wirkt im gezeigten Ausmaß ein bisschen aufgesetzt, so als wollte man einen gefühlsmäßigen Ausgleich fürs depressive Geschehen sorgen. Das erreicht dann noch mal seinen Höhepunkt durch den Vollzug der Todesstrafe auf dem elektrischen Stuhl. Die Grausamkeit der Darstellung mag zwar ein Plädoyer gegen die Todesstrafe sein, aber sie lässt Elmer ebenso unbefriedigt zurück wie den Zuschauer. Grausamkeit kann man eben nicht durch Grausamkeit vergelten.

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Chinatown (Roman Polanski) USA 1974

Es ist nicht die Aufgabe von Filmemachern, Erklärungen abzugeben, sondern – im Gegenteil – für Mysterien, Geheimnisse und Irritationen zu sorgen, natürlich für begründete. Das demonstriert dieses Krimidrama par excellance. Es ist ein Prototyp Ibsenscher Erzähldramaturgie, also der häppchenweisen Enthüllung von dramatischen Ereignissen. In „Chinatown“ passieren lauter merkwürdige Dinge, wobei man ahnt, dass es dafür eine plausible Erklärung gibt.

Exposition

Eine Mrs. Mulray beauftragt den Privatdetektiv Gittes (Jack Nicholson) mit der Observation ihres Mannes, um dem Verdacht des Ehebruchs auf den Grund zu gehen. Dabei ist dieser Mulray überhaupt nicht der Typ eines Frauenhelden. Trotzdem erwischt Gittes ihn beim Tête-à-tête mit einer jungen, hübschen Frau. Dieser Seitensprung landet in den Klatschspalten, was zur Folge hat, dass Gittes Besuch von der echten Mrs. Mulray (Faye Dunaway) bekommt. Alles sehr merkwürdig, aber es kommt noch mysteriöser. Denn kurz darauf wird Mulray ermordet aufgefunden und Gittes ahnt, dass er nur benutzt wurde für irgendwelche kriminellen Machenschaften. Aber jetzt hängt Gittes an der Angel. Dann so etwas macht man natürlich nicht mit ihm. Jetzt hat er Gelegenheit zu zeigen, dass er nicht nur Ehebrechern nachstellen kann, dass er ein hervorragender Schnüffler ist. Und der Zuschauer ist immer auf der Höhe seiner Ermittlungen, fungiert sozusagen als sein Partner.

Prägnante Schauspieler

Die Riege der Schauspieler ist herausragend, allen voran Faye Dunaway in der Rolle der mal entschlossenen, mal nervösen oder verhuschten, wohlhabenden Evelyn Mulray. Nicht minder brillant ist Jack Nicholson, der frech, trickreich und hartnäckig agiert. Sehr prägnant ist seine von Gangstern aufgeschlitzte Nase, die den halben Film von einem Verband verziert wird. Der Schnüffler, der seine Nase zu tief in fremde Angelegenheiten gesteckt hat – ein Bild, das in Erinnerung bleibt. Sehr schön ist auch die konsequente Konzentration auf den Helden, der in jeder Einstellung präsent ist.

Inszenierung

Einer der großen Stärken von Roman Polanski ist die kunstgerechte Inszenierung von Mysterien, von Stimmungen, die eine hypnotische Wirkung erzielen. So auch hier. Irgendwann kann man sich diesen Aufnahmen, diesem Licht, diesen Eindrücken nicht mehr entziehen. Unterstützt wird diese ebenso geheimnisvolle wie bedrohliche Atmosphäre durch die Filmmusik von Jerry Goldsmith mit teilweise disharmonischen Klangteppichen. Die Dialoge sind nie informativ. Sie sind doppeldeutig, mysteriös oder witzig und animieren den Zuschauer zum Detektivspiel. Die Darstellung des Todes von Evelyn Mulray ist genial. Man sieht sie im Auto mit ihrer Tochter davonfahren und Polizisten, die auf sie schießen. Als ihr Wagen schon eine gewisse Entfernung hat, ertönt plötzlich die Hupe – ununterbrochen. Das Fahrzeug scheint an Geschwindigkeit zu verlieren. Keine Nahaufnahme. Kein spritzendes Blut. Nur die penetrante Hupe und die entsetzten Reaktionen ihrer Tochter, ihres Vaters, der Polizisten, von Gittes.

Schwachpunkte

„Chinatown“ hat zwei Schwachpunkte: Die im Mordfall von Hollis Mulray ermittelnden Kriminalbeamten sind nicht sehr helle. Das ist schade. Denn irgendwann haben sie ja Gittes im Visier und dann wären intelligente Gegner natürlich dramatischer. Der zweite Schwachpunkt ist schon gravierender und betrifft das offene Ende der Kriminalgeschichte. Während das Familiendrama mit dem Tod von Evelyn Mulray seinen düsteren Schlusspunkt gefunden hat, bleibt der Krimi eigentlich ungeklärt. Es ist nicht damit getan, dass Lieutenant Escobar sagt: „Vergiss es, Jake. Wir sind in Chinatown“. Denn Gittes könnte die Verbrechen von Noah Cross – immerhin drei Morde und betrügerische Bodenspekulation in Millionenhöhe – beweisen. Und Gittes ist nicht der Typ, der aufgibt und Noah Cross nicht der Typ, der Mitwisser unbehelligt lässt. Insofern bleibt am Ende ein unbefriedigendes Gefühl.

Lösungen

Die Lösung wäre folgende gewesen: Entweder hätte Gittes dafür sorgen müssen, dass Noah Cross hinter Schloss und Riegel kommt, womit er auch keinen Zugriff mehr auf Evelyns Tochter hat (das Happy End) oder aber er wird ebenfalls von Cross getötet (das komplette Drama). Nur dann ist auch die Krimigeschichte zu Ende. Ansonsten alles genial.

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